Die Moral der Unterlassung des Bösen
Die moralischen Eigenschaften, die der wahre Schöpfer für die Erreichung der Stufe “Unterlassung des Bösen“ bestimmt hat, werden in der arabischen Sprache, deren überragend reicher Wortschatz jeweils ein bestimmtes Wort für die verschiedenen menschlichen Begriffe, Gebräuche und Sitten liefert, mit vier Bezeichnungen benannt.
Die erste dieser moralischen Eigenschaften heisst Ehsan, d. h. “Keuschheit“. Dieser Ausdruck umfasst jene Tugend, die sich auf die Fähigkeit der Fortpflanzung von Mann und Frau bezieht. Ein Mann oder eine Frau werden Muhsin bzw. Muhsena (keusch) genannt, wenn er oder sie sich verbotenen sexuellen Beziehungen und allen Annäherungen dazu enthalten. Denn die Folgen solcher Übertretungen sind ja Entwürdigung und Demütigung für beide Partner in dieser Welt und Bestrafung im Jenseits sowie Entehrung und schwerwiegender Schaden für ihre Angehörigen. Zum Beispiel, wenn ein Mann sich einer eindeutigen Annäherung an die Gattin eines anderen schuldig macht, die, wenngleich nicht bis zum Ehebruch führt, so doch bis zu dessen Voraussetzungen, dann würde es für den Ehemann der Frau um seiner Selbstachtung willen notwendig, sich von ihr deswegen scheiden zu lassen, weil sie solch einen Annäherungsversuch geduldet hatte. Auch würden ihre Kinder davon in betrüblicher Weise betroffen. Der Ehemann würde einen Ruin erleiden wegen eines gewissenlosen Verführers.
Es muss betont werden, dass die moralische Eigenschaft – Ehsan oder Keuschheit genannt – nur dann besteht, wenn jemand sich der verbotenen Tat enthält, dabei aber im vollen Besitz der Triebe und Neigungen dazu wäre. Diese Enthaltsamkeit kann daher nicht als “moralische Eigenschaft“ betrachtet werden, ehe die Natur dem Betreffenden die Triebe nicht beschert hat, die ihn zur Durchführung der Verführung zu treiben vermöchten.
Es ist die Enthaltsamkeit unter solchen Umständen – d. h. Kampf gegen die Leidenschaften, die uns die Natur beschert hat -, was den Namen einer hohen moralischen Eigenschaft verdient. Minderjährigkeit, Zeugungsunfähigkeit, Entmannung oder hohes Alter haben die Voraussetzung nicht, auf der das Dasein der moralischen Eigenschaft, Keuschheit genannt, beruht, auch wenn man in diesen Fällen sich des Ungesetzlichen enthält. Tatsache ist, dass es sich in solchen Fällen um einen natürlichen Zustand handelt, der keinen Kampf gegen die Leidenschaften einschliesst, und somit kann das Betragen nicht als Tugend oder Untugend gewertet werden. Wie wir schon bemerkt haben, können die natürlichen Zustände den moralischen Eigenschaften nicht gleichgestellt werden. Sie können erst dann zur Kategorie der moralischen Eigenschaften gezählt werden, wenn sie vom Verstand gelenkt werden und bei passender Gelegenheit ihren Ausdruck finden oder Ausdruck finden können.
Deshalb werden Kinder, die ihre Reife noch nicht erlangt haben, oder impotente Menschen oder solche, die diese Fähigkeit irgendwie verloren haben, nicht behaupten können, sie besässen eine moralische Tugend von grossem Wert, auch wenn ihre Lebensweise der der keuschen Männer und Frauen ähnlich sein sollte. Ihre Keuschheit aber, wenn sie überhaupt so genannt werden kann, ist bloss ein naturbedingter Zustand, worüber sie nicht verfügen.
Da diese Sünde und das, was ihr vorausgeht, sowohl von Mann wie auch von Frau begangen werden kann, legt das Heilige Buch Gottes in diesem Zusammenhang für Mann und Frau Anweisungen fest. So heisst es:
“Weise die gläubigen Männer an, ihre Augen davor zurückzuhalten, nach Frauen ausserhalb des erlaubten Verwandtschaftsgrades zu sehen, wenn sie von diesen sexuell erregt werden könnten. Sie sollten es sich angewöhnen, bei solchen Anlässen ihre Blicke zu senken. Sie sollten alle ihre Sinne im Zaum halten, z.B. sollten sie dem Gesang oder den verlockenden Stimmen von Frauen ausserhalb der erlaubten Beziehungen nicht zuhören, noch sollten sie den Beschreibungen ihrer betörenden Schönheit lauschen. Das ist ein guter Weg, um die Reinheit des Blickes und des Herzens zu bewahren. Und sprich zu den gläubigen Frauen, dass sie ihre Blicke zu Boden wenden und ihre Augen und Ohren davon abhalten, auf fremde Männer zu blicken und ihrer verführenden Stimme zuzuhören; und dass sie ihre Keuschheit wahren sollen; und dass sie ihre Reize und Schönheit bedecken und nicht zur Schau tragen sollen, bis auf das, was davon sichtbar sein muss; und dass sie ihre Tücher über ihre Busen ziehen sollen, um damit ihre Ohren und Kopfe und Schläfen und Busen zu decken… Sie sollen mit ihren Füssen nicht den Boden berühren wie Tänzerinnen.
Dies sind Anweisungen, die geeignet sind, einen vor dem Stolpern zu bewahren. Das zweite Mittel heisst, sich zu Gott zu bekehren und zu Ihm zu beten, um vor dem Sturz bewahrt und vor dem Fall und Abgleiten behütet zu werden.“ (24:31-32)
Eine weitere Anweisung lautet:
“Nahet nicht dem Ehebruch. Das heisst: Haltet euch selbst von solchen Anlässen fern, die diesen Gedanken erwecken, und begeht nicht die Wege, die zu dieser Sünde führen könnten, denn ein Ehebrecher begeht eine äusserst verwerfliche und schändliche Tat. Der Weg des Ehebruchs ist ein übler Weg, da er einen hindert, das Ziel zu erreichen und der Erlangung der Vollkommenheit im Wege steht.“ (17:33)
Ferner heisst es:
“Und diejenigen die keine Gelegenheit zur Ehe finden, sollen sich keusch halten [z. B. durch andere Mittel, wie fasten oder wenig essen oder durch anstrengende körperliche Arbeit].“ (24:34)
“Manche haben eigene Mittel erfunden, um sich der sexuellen Beziehung zu enthalten – durch Zölibat und Mönchstum [um so die Ehe weit von sich abzuweisen], oder durch Kastration. Alle diese Methoden aber schrieben Wir ihnen nicht vor – was zur Folge hat, dass sie diese Massnahmen nicht auf die Art einhalten können, wie sie es hätten tun sollen.“ (57:28)
Hier widerlegt Gott die Behauptung, Er habe den Menschen Kastration vorgeschrieben; denn, wenn dies das göttliche Gebot gewesen wäre, hätten die Menschen ihm Folge leisten müssen, und das Menschengeschlecht wäre schon längst vom Erdboden verschwunden und die Welt untergegangen. Ausserdem wäre die oben genannte Praxis der Kastration und Ähnliches zum Zwecke der Einhaltung der Keuschheit ein indirekter Vorwurf gegen den Schöpfer, Der die Menschen mit der Zeugungskraft versehen hat.
Darüber hinaus liegt das Verdienst einzig darin, dass man die schlechte Neigung bekämpft und die bösen Leidenschaften aus Ehrfurcht vor Gott überwindet. Wer die Fähigkeit besitzt (und dann das Böse vermeidet), hat doppeltes Verdienst, d. h. für den zweckmässigen Gebrauch der Energie und für das Sich-Enthalten vor deren Missbrauch. Aber derjenige, der die Fähigkeit verloren hat, ist jedwelchen Verdienstes bar. Bändigung der natürlichen Kräfte ist nur dann verdienstvoll, wenn man über sie verfügt, aber sie dennoch im Zaume hält. Keine Belohnung verdient jener, der wie ein Kind die Fähigkeit verloren hat. Ist denn die Keuschheit eines Kindes ein Verdienst?
Fünf Mittel zur Aufrechterhaltung der Keuschheit
Diese Verse enthalten nicht nur eine herrliche Lehre zur Erlangung der Keuschheit, sondern bieten auch fünf Wege, um dieselbe zu erhalten. Es sind dies die folgenden: Die Augen davon abzuhalten, auf fremde Frauen zu blicken; die Ohren davon abzuhalten, den verwirrenden Stimmen fremder Frauen, die die Wollust erwecken könnten, zuzuhören; die lockenden Berichte über ihre Schönheit nicht anzuhören; die Gelegenheiten zu meiden, die zum Laster verführen können; und als fünftes Mittel das Fasten, falls man keine Gelegenheit zur Ehe hat.
Wir können mit voller Überzeugung behaupten, dass diese schöne und klare Lehre über Keuschheit nebst den im Heiligen Koran erwähnten Hilfsmitteln eine Besonderheit ist, die nur dem Islam eigen ist. Wir dürfen die Tatsache nicht übersehen, dass der natürliche Trieb, der der Ursprung der sinnlichen Begierden ist (welche man nicht meistern kann, ohne dass man sich einer vollkommenen Umwandlung unterzieht), sich entflammt, wo immer sich die Möglichkeit und Gelegenheit bietet; und damit bringt er den Menschen in eine ernste Gefahr. Die göttliche Unterweisung ist daher nicht, dass wir wohl auf fremde Frauen blicken, ihre Schönheit und ihren Schmuck und ihr Gehen und Tanzen betrachten dürfen, solange wir es aus reinem Herzen tun, oder dass es wohl erlaubt ist, ihre süssen Gesänge oder die verführenden Geschichten über ihre Schönheit anzuhören, vorausgesetzt, dass wir alles aus reiner Absicht tun, sondern es ist ganz und gar nicht erlaubt, auf sie zu blicken, noch ihren verführenden Stimmen Gehör zu schenken, mit oder ohne guten Absichten.
Wir müssen uns von all dem fernhalten, was uns verführen könnte, genauso wie wir uns des Aas-Essens enthalten. Begehrliche Blicke können mit ziemlicher Sicherheit früher oder später zu unserem Fall führen. Weil Gott der Allmächtige wünscht, dass unsere Augen, Herzen, Gedanken und Glieder fortgesetzt in einem Zustand der Reinheit bleiben sollten, hat Er uns diese ausgezeichnete Lehre gegeben. Wer kann daran zweifeln, dass ungezügelte Blicke eine Gefahr darstellen? Wenn wir frisches Brot vor einen hungrigen Hund legen, wäre es falsch zu erwarten, dass der Hund dem Brot keine Beachtung schenken würde. Daher wünschte der Allmächtige Gott, dass menschliche Fähigkeiten auch im geheimen keine Gelegenheit erhalten sollten, ausser Rand und Band zu geraten, und dass sie nicht mit etwas konfrontiert werden sollten, was gefährliche Neigungen hervorrufen könnte.
Diese Philosophie liegt der Lehre des Islams über die Verschleierung, Pardah, zugrunde. Das Buch Gottes bezweckt mit dieser Vorschrift nicht die Abgeschlossenheit der Frauen wie in einem Gefängnis. Dies kann nur die Meinung der Unwissenden sein, die die islamische Lebensweise nicht kennen.
Der Zweck dieser Vorschrift ist, Männer und Frauen davon abzuhalten, ihre Blicke auf fremde Personen frei herumschweifen zu lassen und ihre Reize zur Schau zu stellen. Diese Regel trägt zum Guten für beide Geschlechter bei. Weiter muss man sich vergegenwärtigen, dass das Zurückhalten der Blicke und ihr Hinwenden auf erlaubte Dinge im Arabischen durch den Ausdruck ghadde bassar beschrieben wird, einem Ausdruck, der im Koran in diesem Zusammenhang verwendet wird. Es geziemt sich nicht für einen frommen Menschen, der sich danach sehnt, sein Herz rein zu erhalten, dass er seine Augen in jeder Richtung frei kreisen lässt, wie wilde Tiere es tun. Für ihn ist es notwendig, die Lehre von ghadde bassar in seinem täglichen Leben anzuwenden. Solch eine Angewohnheit ist segensreich. Sie verwandelt den natürlichen Zustand in hohe moralische Qualitäten, ohne dass die gesellschaftlichen Bedürfnisse dadurch eine Beeinträchtigung erfahren.
Diese moralische Eigenschaft ist es, die Keuschheit (Ehsan oder Iffat) heisst.
Die zweite moralische Eigenschaft
im Zusammenhang mit dem Begriff „Unterlassung des Bösen“ heisst im Arabischen Amanat, d. h. “Ehrlichkeit und Integrität“. Amanat besteht darin, es nicht zu dulden, böswillig das Eigentum der anderen durch Betrug zu beschlagnahmen und den Mitmenschen auf diese Weise Schaden zuzufügen. Die Eigenschaft der Ehrlichkeit und Integrität entspricht wiederum dem natürlichen, physischen Zustand des Menschen. Darum ist ein Säugling – sofern er noch seinen natürlichen Instinkt hat und noch keine schlechten Gewohnheiten besitzt – äusserst abgeneigt, sich das Eigentum anderer anzueignen, so dass er nur mit grosser Mühe dazu bewogen werden kann, die Milch einer fremden Frau zu sich zu nehmen. Das Kleinkind weigert sich, sich an eine Amme zu wenden, es sei denn, es wurde ihr schon viel früher anvertraut.
Es nimmt in Kauf, zu hungern und verweigert die Milch einer fremden Frau. Was ist der tiefe Grund dieser Abgeneigtheit? Er liegt darin, dass das Kind sich instinktiv weigert, anstatt seiner Mutter etwas anderes zu begehren, etwas, das ihm nicht gehört. Studieren wir diese Gewohnheit des Kleinkindes weiter, so wird klar, dass diese Natur des Kindes die Wurzel bildet, aus der die natürliche Neigung, ehrlich zu werden, entspringt, und die sich später in eine moralische Eigenschaft, Ehrlichkeit genannt, entwickelt. Niemand kann die moralische Eigenschaft der Ehrlichkeit besitzen, solange ihm nicht das unehrliche Aneignen des fremden Eigentums ebenso zuwider und hassenswert ist wie einem Kinde die fremde Milch. Ein Säugling jedoch wendet diese Gewohnheit nicht immer bei der richtigen Gelegenheit an und verschafft sich dadurch grosses Leiden. Diese Gewohnheit ist nur ein natürlicher Instinkt, der ohne sein Zutun zum Ausdruck kommt. Sie ist deshalb nicht die moralische Eigenschaft der Ehrlichkeit, bildet aber deren Wurzel. Das Kleinkind kann daher nicht rechtschaffen und ehrlich genannt werden.
Ebenso wenig ist derjenige, der diese moralische Neigung bloss im Gehorsam seiner Natur gegenüber zeigt (ohne auf die Zweckmässigkeit der Angelegenheit Rücksicht zu nehmen), als eine moralische Person zu betrachten. Es ist sehr schwer Amien, d. h. ehrlich und aufrichtig, zu sein, und derjenige, der die Voraussetzungen, die den natürlichen Zustand zur moralischen Eigenschaft erheben, nicht erfüllt, kann nicht behaupten, dass seine Handlungen tatsächlich moralisch sind. In diesem Zusammenhang hat Gott der Allmächtige uns in den folgenden Versen des Korans verschiedene Wege und Aspekte der Ehrlichkeit aufgezeigt:
“Wenn unter euch ein Gutsherr ist, der schwachsinnig, Waise oder unmündig ist, und bei dem ihr befürchtet, dass er in Ermangelung der nötigen Klugheit sein Vermögen vergeuden würde, so sollt ihr die Vormundschaft übernehmen und solchen Schwachsinnigen das Gut nicht überlassen, das für ihren Unterhalt und für die Geschäfte nötig ist. Vielmehr nährt sie und kleidet sie je nach Bedarf damit, und sprecht Worte freundlichen Ratschlags zu ihnen, um dadurch ihren Intellekt zu schärfen und ihren Verstand zur Reife zu bringen: und bildet sie aus zu einer Erwerbstätigkeit, die ihren Fähigkeiten am besten entspricht; und erteilt ihnen entsprechende Anweisungen über Handel, falls sie aus einer Familie von Geschäftsleuten stammen, oder über einen anderen geeigneten Beruf.
Prüfet sie in dem, was ihr sie lehrt, um ihre Lernfähigkeit feststellen zu können. Und wenn sie das heiratsfähige Alter (etwa 18 Jahre) erreicht haben, und ihr dann an ihnen Verständigkeit und Sinn für Vermögensverwaltung wahrnehmet, so händigt ihnen ihren Besitz aus; und zehrt ihn nicht verschwenderisch und hastig auf, aus Furcht davor, dass sie bald grossjährig würden und zurückfordern würden, was ihnen gehört. Wenn der Vormund wohlhabend ist, enthalte er sich dessen ganz, etwas als Entschädigung für die Verwaltung des Vermögens entgegenzunehmen; aber wenn er arm ist, zehre er davon nach Billigkeit.“ (4:6-7)
Nach einem Brauch der Araber pflegten die Vormünder einer Waise, wenn sie etwas als Entschädigung nehmen wollten, nach Möglichkeit nur aus dem Gewinn der Kapitalanlage zu fordern, ohne das Stammkapital anzutasten. Die vorstehenden Verse weisen auf diesen Brauch hin.
Ferner heisst es:
“Und wenn ihr den Waisen ihren Besitz aushändigt, tut es in der Gegenwart von Zeugen.“ (4:7)
“Und jene, die schwache, unmündige Nachkommen hinterlassen, sollen nicht ein Testament machen, durch welches die Kinder benachteiligt sind. Fürwahr, jene, die den Besitz der Waisen auf diese Weise verzehren, schlucken nicht den Besitz, sondern Feuer in ihren Bauch, und sie sollen in flammendem Feuer brennen.“ (4:10-11)
Wir sehen somit, wie Gott die verschiedenen Aspekte der Ehrlichkeit und der Integrität dargelegt hat. Also kann wahre Ehrlichkeit und Integrität nur die sein, welche alle diese Seiten umfasst. Wenn nicht jede einzelne Seite mit perfektem Verstand berücksichtigt wird, kann die oberflächliche Ehrlichkeit noch eine Menge von Unehrlichkeiten in sich bergen.
Weiter steht geschrieben:
“Fresset nicht untereinander euren Reichtum auf in ungerechter Weise, und bietet ihn nicht der Obrigkeit als Bestechung an, auf dass ihr euch den Reichtum anderer nicht mit Hilfe der Behörden zu Unrecht aneignen möget.“ (2:189)
“Übergebt die Treuhandschaft jenen, die ihrer würdig sind.“ (4:59)
“Gott liebt nicht die Unehrlichen.“ (8:59)
“Gebet volles Mass, wenn ihr messt, und wägt mit richtiger und exakter Waage.“ (17:36)
“Vermindert den Menschen nicht ihr Gut auf irgendeine Weise, und zieht nicht im Lande herum mit der Absicht, Unheil anzurichten. Das heisst als Räuber, Wegelagerer, Taschendiebe oder [versucht nicht] euch sonst wie unrechtmässig das Eigentum anderer anzueignen.“ (26:184)
“Vertauscht nicht Gutes mit Schlechtem. Denn, wie es einem nicht erlaubt ist, den Reichtum eines anderen ungesetzlich zu beschlagnahmen, ebenso ist es Unrecht, minderwertige oder wertlose Waren gegen gute und hochwertige zu vertauschen.“ (4:3)
In diesen Versen hat der Allmächtige Gott alle Arten von Unehrlichkeit so umfassend dargetan, dass keine Art von unredlichem Handeln ausgeschlossen worden ist. Er hat nicht nur den Diebstahl verboten, damit nicht ein Dummkopf annehmen kann, dass zwar Diebstahl verboten, doch andere Handlungen erlaubt seien, um in den unrechtmässigen Besitz des fremden Eigentums zu gelangen. Mit einem umfassenden Wort alle unehrenhaften Methoden, Eigentum zu erwerben, in verständlicher Weise zu verbieten, ist wahre Weisheit. Wenn also ein Mensch die Qualität der Integrität nicht mit Einsicht in allen seinen Handlungen besitzt und alle Aspekte der moralischen Eigenschaft nicht erfüllt, kann er nicht als ehrlich angesehen werden; selbst dann nicht, wenn er Ehrlichkeit in gewissen Dingen ausübt. Er handelt nach Gewohnheit im Gehorsam zu den natürlichen Neigungen, ohne dabei Verstand und Einsicht walten zu lassen.
Die dritte moralische Eigenschaft
im Zusammenhang mit dem Unterlassen des Bösen wird im Arabischen mit den Wörtern Hudna oder Haun ausgedrückt. Das heisst, sich davon fernzuhalten, einem anderen ungerechterweise körperliche Verletzung zuzufügen, und ein friedfertiges, harmloses Leben zu führen. Zweifelsohne ist Friedfertigkeit eine moralische Eigenschaft hohen Grades und unentbehrlich für die Menschheit. Die dementsprechende natürliche Neigung, aus der diese Eigenschaft stammt, ist im Menschenkind in der Form von Anhänglichkeit zu erkennen. Es ist selbstverständlich, dass das Menschenkind – dessen Verstand noch nicht entwickelt ist – die Begriffe Friedlichkeit und Streitsucht nicht erfassen kann.
Anhänglichkeit, die in einem Kinde zu beobachten ist, ist nur der Keim, aus dem die hohe moralische Eigenschaft der Friedlichkeit sich herausbildet. Aber diese Veranlagung kann nicht moralisch genannt werden, weil ihr der Verstand, die Überlegung und die feste Absicht fehlen. Moralische Eigenschaft kann sie nur dann heissen, wenn jemand sich mit Überlegung zu einem friedfertigen Wesen macht und diesen Charakterzug bei passender Gelegenheit zum Ausdruck bringt und sich davor bewahrt, die moralische Eigenschaft am falschen Platz zu entfalten. Die göttliche Lehre darüber lautet:
“Ordnet die Dinge in Eintracht unter euch.“ (8:2)
“Versöhnung ist das Beste.“ (4:129)
“Sind sie jedoch zum Frieden geneigt, so sei auch du ihm geneigt.“ (8:62)
“Die Diener des Gnadenreichen wandeln auf Erden in Demut.“ (25:64)
“Und wenn sie an etwas Eitlem vorübergehen [was zu einem Streit führen könnte], gehen sie mit Würde vorüber. Sie versuchen nicht, mit anderen Händel um Kleinigkeiten anzuzetteln.“ (25:73)
Das heisst, sie streiten nicht, solange man sie nicht wirklich verletzt hat. Und dies ist das führende Prinzip der Friedlichkeit am rechten Platz, dass man sich nicht wegen der geringsten Verletzung seiner Gefühle beleidigt fühlen, sondern vergeben sollte.
Das Wort laghw (eitel) in diesem Vers verdient eine Erklärung. Ein Wort oder eine Tat ist laghw oder eitel, wenn kein materieller Verlust oder Schaden entsteht, mag auch die Tat in böswilliger Absicht geschehen sein.
Friedfertigkeit erfordert, dass man solche Worte oder Taten mit Würde übersieht und sich bei solchen Anlässen als “Gentleman“ erweist. Aber wenn wirklicher Schaden an Leben, Eigentum oder Ehre verursacht wird, dann ist die entsprechende moralische Eigenschaft bei solcher Gelegenheit nicht Friedfertigkeit, sondern Afuw, d. h. “Verzeihung“ oder “Nachsicht“, ein Gebot, auf das wir später zu sprechen kommen werden, so Gott will.
Weiter heisst es:
“Wenn jemand zu euch boshaft ist, so wehret das Böse mit dem ab, was das Beste ist, auf die friedlichste Art. Durch ein solches Verhalten wird euch der Feind wie ein wahrer Freund werden.“ (41:35)
Kurz, Friedfertigkeit bedeutet das Übersehen unbedeutender Beleidigungen, die keinen grossen Schaden anrichten, sondern sich mehr oder weniger auf unbedachtes Gerede beschränken.
Die vierte moralische Eigenschaft
im Zusammenhang mit dem Begriff „Unterlassen des Bösen“ heisst Rifq oder “Höflichkeit“ und “ein gutes Wort“. Der natürliche Zustand, aus dem diese Eigenschaft sich später entwickelt, heisst Talaqat, was Frohsinn oder Heiterkeit bedeutet. Bevor ein Kleinkind sich in Worten ausdrücken kann, zeigt es Fröhlichkeit anstelle der Artigkeit und guten Reden. Dies beweist, dass die Wurzel der Artigkeit die natürliche Veranlagung ist, aus der die moralische Eigenschaft der Höflichkeit heranwächst. Der Frohsinn ist eine Veranlagung, Höflichkeit aber eine moralische Eigenschaft, indem sie zur richtigen Zeit zum Ausdruck kommt. Gott lehrt diesbezüglich folgendes:
“Redet Gutes zu den Menschen.“ (2:84)
“Lasset nicht ein Volk über das andere spotten, vielleicht sind diese besser als jene; und lasset nicht Frauen über andere spotten, vielleicht sind diese besser als jene. Und verleumdet einander nicht, und gebet einander nicht Schimpfnamen.“ (49:12)
“Vermeidet häufigen Argwohn… Und belauert euch nicht, erforscht die Fehler anderer nicht, schädigt nicht einer des anderen Ruf, und führt nicht üble Nachrede übereinander…“ (49:13)
“Beschuldige nicht jemanden einer Tat, wovon du keine Kenntnis hast. Wisse, dass das Ohr und das Auge und das Herz – sie alle sollen zur Rechenschaft gezogen werden.“ (17:37)
Quelle: Der Verheissene Messiasas: Mirza Ghulam Ahmad, Die Philosophie der Lehren des Islams, Verlag Der Islam, 3. Auflage, S. 77-92