Zinsverbot und Zakaat
Zakaat ist einer der fünf Pfeiler des Islam. Die anderen sind die Bestätigung, dass es keinen Gott gibt ausser Allah, und dass Muhammadsaw Sein Gesandter ist, die Gebete, das Fasten während des Monats Ramadhan sowie die Pilgerfahrt zum Hause Allahs in Mekka. So fordert der Heilige Koran beispielsweise:
“Und verrichtet das Gebet und zahlet die Zakaat und gehorchet dem Gesandten, auf dass ihr Barmherzigkeit empfangen möget.“ (24:57)
Das arabische Wort Zaksat bedeutet wörtlich „etwas zu reinigen“ und würde im Zusammenhang mit einer zu erhebenden Steuer bedeuten, dass der nach dem Abzug der Zaksat verbleibende Reichtum gereinigt und für seinen Besitzer rechtmässig wäre. Er wird normalerweise mit 2,5 Prozent auf veräusserbares Vermögen über einer bestimmten Höhe erhoben, welches sich länger als ein Jahr im Besitz des Eigentümers befand. Obgleich schon viel über die Höhe oder Rate dieser Steuer gesagt wurde, finden wir im Heiligen Koran keinerlei Hinweis auf einen bestimmten Prozentsatz.
Diesbezüglich bitte ich um Nachsicht, mit der eigensinnig begründeten Auffassung mittelalterlicher Gelehrter nicht einer Meinung zu sein. Ich glaube, dass die Frage des Prozentsatzes flexibel zu bleiben hat und gemäss des Zustands der Wirtschaft in einem bestimmten Land festgelegt werden sollte. Da Zaksat eine spezifisch Steuer ist, die auf Vermögensbesitz über einer bestimmten Höhe erhoben wird, kann sie auch nur für bestimmte Begriffsklassen von Ausgaben verbraucht werden. Diese wurden in dem folgenden Vers des Heiligen Koran benannt:
“Die Almosen sind nur für die Armen und Bedürftigen und für die mit ihrer Verwaltung Beauftragten und für die, deren Herzen versöhnt werden sollen, für die (Befreiung) von Sklaven und für die Schuldner, für die Sache Allahs und für den Wanderer: eine Vorschrift von Allah. Und Allah ist allwissend, allweise.“ (9:60)
Das Schatzamt [in Deutschland also das Bundesministerium für Finanzen] ist mit der Verwaltung dieser Verordnung zu beauftragen. In der Frühgeschichte des Islam waren Hadhrat Abu Bakrra und Umarra, die beiden ersten Kalifen, berühmt für ihre persönliche Gewähr zur schnellstmöglichen Auszahlung von Almosen, was anschliessend als der erste Wohlfahrtsstaat bekannt wurde. Dieses System funktionierte während der Abbasidenzeit jahrhundertelang mit grossem Erfolg.
Wie bereits erklärt, wird die Triebkraft des Zinses durch die Antriebskraft der Zakaat ersetzt. Wenn wir dieses Verfahren im laufenden Betrieb untersuchen, treten viele weitere Unterschiede zwischen der islamischen Volkswirtschaft und anderen Volkswirtschaften zutage. Es beginnen sich die Merkmale einer vollständig abweichenden Wirtschaftsordnung herauszubilden. Kein Betrag brachliegenden Geldes, ungeachtet ob gross oder klein, kann für einen längeren Zeitraum überleben, ohne dass er sich schneller vermehrte, als die Höhe der Rate beträgt, zu der er besteuert wird.
Genau so treibt Zakaat die Wirtschaft eines wahrhaft islamischen Staates voran. Stellen Sie sich eine Situation vor, in der es einer Einzelperson mit einer kleinen Summe Vermögens unmöglich ist, sich direkt am Handel zu beteiligen, und es keine Banken gibt, die ihm auf seine Einlage Zinsen zahlen. Ist seine Einlage nun gross genug, entsprechend der Zakaat besteuert zu werden, klopfen die Finanzbeamten um diesen Prozentsatz seines Vermögens wegen, jedes Jahr an seine Tür. Solchen Menschen bleiben nur zwei Möglichkeiten: ihr Geld entweder selbst gewinnbringend einzusetzen oder ihre Mittel zusammenzulegen, um kleine oder grosse Unternehmungen zu gründen. Das wird Joint-Venture-Unternehmen, Partnerschaften, die Bildung kleiner Firmen oder öffentliche Vermögensbeteiligungen an grösseren Firmen auf einer strikten Gewinn- und Verlustbasis fördern. Solche Firmen werden keinem Geldinstitut etwas schulden, an welches sie Schulden und Zinsen zurückzahlen müssen.
Mal angenommen, man vergliche die Lage solcher Firmen mit jenen der ihnen in den kapitalistischen Volkswirtschaften gegenüberstehenden, dann würde erkennbar, dass sie während Zeiten der Not und Krise auf vollständig voneinander abweichenden Grundlagen stehen. Im Falle, dass sich Handel und Industrie in einer kapitalistischen Volkswirtschaft einem Konjunkturrückgang gegenübersehen, kann sie der Produktionsrückgang aufgrund dahinschwindender Nachfrage an den Rand des Bankrotts bringen. Die Zinsen, die sie zu zahlen haben, um ihre Schulden zu bedienen, werden sich solange unbarmherzig anhäufen, bis es diesen Firmen nicht mehr länger möglich ist, sich über Wasser zu halten.
Andererseits, wenn eine Wirtschaft gemäss islamischer Leitlinien arbeitet, wird eine Verlangsamung der Geschäfts- und Handelsmöglichkeiten Handel und Industrie nur in einen Zustand des Winterschlafs versetzen. Auf diese Weise gewährleistet die Natur zu Zeiten extremer Belastung und Nöte das Überleben der Besten. Wenn die Energiezufuhr sinkt, muss der Ausstoss gesenkt werden, wenn die Leistungsfähigkeit nicht unter jenen kritischen Punkt sinken soll, der zum Überleben notwendig ist. Da innerhalb einer islamischen Finanzordnung kein unbarmherziger Druck existiert, Schulden zu bedienen, kann sie während eines Konjunkturrückgangs wesentlich grösserem Druck und Herausforderungen standhalten.
Die islamische Volkswirtschaft beruht auf der vollständigen Abwesenheit des Zinsfaktors. Und doch gibt es keinen geschichtlichen oder gegenwärtigen Beweis, aus dem zu schliessen wäre, dass der Dämon der Inflation aufgrund nicht vorhandener Zinsen Amok gelaufen wäre und die Preise unkontrollierbar immer höher getrieben hätte. In der gegenwärtigen Zeit bietet sich uns die sehr interessante Gelegenheit, Vergleiche zu ziehen, ob Zinsraten oder ihre Abwesenheit Einfluss auf die Inflation haben.
In der Ära Mao Tse Tungs unternahm die Regierung Chinas viele Versuche mit der Wirtschaft. Einige schlugen fehl. Einige brachten hervorragende Ergebnisse. Während der gesamten Regierungszeit Mao Tse Tungs jedoch wurde dem Zins nicht gestattet, irgendeine Rolle zu spielen – weder national noch international. Und doch gab es in dieser Zeit keine nennenswerte Zunahme der Inflation. Tatsächlich verzeichneten die Preise einen Rückgang, als sich der Gesamtproduktionsausstoss letztendlich erhöhte.
Im Vergleich dazu lag die Inflationsrate im Staate Israel, dem vielleicht kapitalistischsten Land der Welt, inmitten unter den höchsten jemals auf der Welt registrierten, ausser natürlich der in lateinamerikanischen Ländern und den Nachkriegsphänomen von aussergewöhnlicher Inflation in Europa, insbesondere in Deutschland. Doch war das schliesslich keine normale Zeit. Unter gleichen Bedingungen kann die Rolle von Zins in jedweder beliebigen Wirtschaft nicht anders als inflationär beschrieben werden.
Quelle: Der 4. Khalifa der Ahmadiyya Muslim Jamaat: Mirza Tahir Ahmad, Islam – Antworten auf die Fragen unserer Zeit, Verlag Der Islam, 2008, S. 207-211